Heidel und Preiselbeerenernte –früher und heute-:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kroanoggen – das ist der plattdeutsche Name für die Heidelbeeren, die auch Blau- oder Waldbeeren genannt werden. Ihre Sträucher gehören zur Gattung der Heidekrautgewächse und sind auf den Heideflächen am Osterkopf zahlreich anzutreffen. Sie gedeihen gut rund um einzeln stehende Bäume aber auch im lichten Kiefernwald. Man kann die Beeren im Juli und August pflücken, auch im September läßt sich sicher hier und da noch eine Handvoll „Kroanoggen" für einen Blaubeerpfannkuchen finden. Die Beeren können roh (mit Zucker und Sahne!), eingekocht oder als Marmelade verarbeitet serviert werden. Heidelbeergeist oder der wohlschmeckende rotweinähnliche Heidelbeerwein sind weitere Möglichkeiten, den Blaubeergeschmack zu genießen. Die saftigen Beeren sind reich an Vitaminen, stärken die Abwehrkräfte und haben sogar eine entzündungshemmende Wirkung. Die Heidelbeere muß am Strauch reif und möglichst bald verarbeitet werden. Ein „Nachreifen" nach dem Pflücken ist bei ihr im Gegensatz zur Preiselbeere nicht möglich.

Hä´idelbären – so werden die Preiselbeeren seit alters her im Upland genannt. Die dazugehörenden Sträucher sind ebenfalls auf der Heide zuhause. Ihre Erntezeit beginnt Mitte August und erstreckt sich über die Zeit der Heideblüte bis Ende September. Preiselbeeren wachsen eher auf Freiflächen und haben es gerne sonnig. Im Baumschatten kann man sie nicht finden Ihre kurzen buschigen Stengel sind widerstandsfähiger gegen Trockenheit und Frost als die der Heidelbeere. Die kleinen roten Beeren schmecken roh leicht säuerlich und etwas mehlig. Sie werden als Kompott mit Zucker eingekocht, halten sich aufgrund der Säure aber auch nach dem Eindicken mit Zucker in lose abgedeckten Behältnissen. Sie sind beliebte Zugabe zu Wildgerichten, passen aber zu allen Menüs mit Kartoffeln und Bratensoße. Da sie im Regelfall mit der gleichen Gewichtsmenge an Zucker verarbeitet werden, ergibt das Preiselbeerkompott einen reizvollen Kontrast zu allen herzhaften Gerichten. Auch auf Tortenböden oder über Vanilleeis gegossen sind die „Hä´idelbären" ein Gedicht.

Man kann davon ausgehen, dass Heidel- und Preiselbeeren seit der Besiedlung des Uplandes ein wichtiger Bestandteil der Ernährung und Vorratswirtschaft waren. In einer Gegend, in der aufgrund der Höhenlage und den Witterungsverhältnissen kaum Baumobst wuchs, hatten die hier vorkommenden Beeren als Vitaminlieferant sicher einen besonderen Stellenwert. Schon früh fing man aber auch damit an, die Früchte in andere Gegenden zu verkaufen. Für die armen Haushalte im Upland waren die Einkünfte aus der Beerenernte oft die einzige Möglichkeit, etwas Bargeld einzunehmen. Bei Mißernten war die Armut manchmal so groß, dass sogar die Bauersfrauen betteln gingen. Die Angehörigen der ärmeren Bevölkerungsschicht begaben sich sogar sehr oft zum Betteln in reichere Gegenden. Aber auch der Verkauf der Beerenernte war mit großen Mühen verbunden. Aus dem 19. Jahrhundert wird in einem zeitgenössischen Bericht geschrieben: „Sie (die Männer) gingen wohl auch selber die Sommermonate nach Holland zur Mahd, während die Weiber die Körbe voller roter Waldbeeren und Preiselbeeren nach Kassel trugen, dazu brauchten sie fast zwei Tage. Der Gasthof, wo sie einkehrten, hieß der Regenbogen." Daran können sich aber selbst unsere Großeltern nicht mehr erinnern. Aus ihren Erzählungen wissen wir, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse in den zwanziger und dreißiger Jahren, in denen der Fremdenverkehr in Usseln nur zaghaft Einzug gehalten hatte, weiterhin sehr schlecht waren. Der Boden gab in dieser Höhenlage nicht viel her, der Winter kam früh; oft war es ein Wettlauf mit der Zeit, die Ernte noch einzubringen. Wenigen größeren Bauernhöfen stand eine Vielzahl von kleinen Haushaltungen der Tagelöhner und Handwerker gegenüber. Armut und Elend waren ständiger Gast in Usseln, ein dem heutigen vergleichbares Sozialsystem gab es noch nicht, alte alleinstehende Menschen wurden von den Nachbarn reihum bekocht, damit sie nicht verhungern mußten. Geld wurde wenig verdient, die Gärten und kleinen Äcker, das Schwein, die Ziege, die Kuh und die Hühner mußten das Notwendige liefern. So war es klar, dass die Möglichkeit, durch das Beerenpflücken ein Zubrot zu verdienen, besonders von den armen Leuten begierig genutzt wurde. Da die Heidelbeeren erst nach Erreichen der Reife gegessen oder verarbeitet wurden, gab es für sie keine Zeitbeschränkung für das Pflücken. Bei den Preiselbeeren war es anders. Weil sie –allerdings auf Kosten des Geschmacks- im Keller nachreifen konnten, bestand die Gefahr, dass die meisten Beeren schon klein und grün abgepflückt wurden. Deshalb wurde von der Gemeinde jährlich, je nach den klimatischen Bedingungen, der Beginn des Pflückens festgelegt. Vorher durfte offiziell keine Beere geerntet werden. Für die gemeindeeigenen Flächen am Kahlen Pön mußten auf dem Bürgermeisteramt „Pflückscheine" erworben werden, die überhaupt erst zum Pflücken berechtigten. Als Waldeck noch ein Fürstentum war, kümmerte sich sogar die Obrigkeit in Arolsen um die Beerenernte. So lautet eine Polizeiverordnung des Landesdirektors im Fürstlich Waldeckischen Regierungsblatt vom Juli 1903: „...wird hiermit für den Bezirk der Gemeinden Usseln, Willingen, Rattlar, Schwalefeld, Ottlar und Stormbruch verordnet was folgt: Preißelbeeren dürfen vor dem 15. August eines jeden Jahres nicht gepflückt werden. Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung werden mit Geldstrafe bis zu 30 Mark, im Unvermögensfalle mit entsprechender Haft bestraft." Auf den Heideflächen, die sich in privatem Besitz befanden, war es oft schwieriger als auf den Gemeindeländereien, an die Beeren zu gelangen. Der jeweilige Eigentümer hatte das Recht, anderen Personen den Zutritt zu verwehren, um die Ernte allein für sich „einzufahren". Ein Recht, von dem auch Gebrauch gemacht wurde: So wird von einer Frau berichtet, die von früh bis spät auf ihrem Grundbesitz Wache hielt, damit keine Beeren wegkamen. Große Teile der Heideflächen des Osterkopfes gehörten „Schkäperhermes", die sich damit begnügten, den ersten Pflücktag für sich selber zu beanspruchen, an dem sie mit Kind, Kegel und Verwandtschaft auf den Berg zogen. Einen Tag später aber war die Heide dann für jeden Pflücker zugänglich. Aber auch das bezog sich nur auf die Usselner. Traute sich etwa ein Eimelroder mit dem Pflückgeschirr in die Usselner Gemarkung so rief alles: „mäkest Dou Dieck af !?" Das gleiche galt für Düdinghäuser und Titmaringhäuser auf dem Kahlen Pön. Ärgerlich waren die Usselner Pflücker auch, als sich nach dem Eisenbahnanschluß des Ortes im Jahre 1917 im Sommer täglich ein Strom von Auswärtigen aus dem „Niederland" mit Körben und Eimern aus den Zügen ergoß, um auf den heimischen Bergen die Beeren zu ernten. So hieß es dann manchmal: „Sei rouppet uns he`i de ganzen Bären van dn Ströünken, asse wann we`i noh Kiärbach gingen un plückeden doa de Äppele vab diän Bämen."

War die Pflückzeit für Heidel- und Preiselbeeren gekommen und hatte man sich ein Pflückgebiet ausgesucht, so zog oft die ganze Familien, bewaffnet mit „Höüpedingeren" (Pflückbehältern, oft Henkeltassen von „höüpen" = häufen, ) und Körben, Eimern oder Leinenbeuteln auf die Berge. Für die Lagerung und den Transport für Heidelbeeren nahm man feste Behältnisse, während die unempfindlicheren Preiselbeeren auch in Leinensäcken nach Hause getragen werden konnten. Alt und jung beteiligten sich an der Ernte, oft gingen auch die Großeltern mit den Enkeln tagsüber in die Heide, während die Eltern nach Feld, Werkstatt- oder Stallarbeit am frühen Abend nachkamen. Vielfach mußten auch die Kinder alleine pflücken. In der Heidelbeerzeit waren Hände, Knie und der Mund fast aller Kinder ständig blau eingefärbt. Der intensive Farbstoff wich selbst bei mehrmaligem intensiven Waschen nicht von der Haut und wurde Tag für Tag erneuert. Wie oft mögen wohl die Tränchen geflossen sein, wenn der Tag in der Heide auch gar so lang war, wenn die Sonne wieder unbarmherzig brannte, wenn der Rücken schon so weh tat? Wie oft mag ein verzweifelter Blick zum Pflückeimer gegangen sein, der gar nicht voll werden wollte? Ganz ärgerlich war es, wenn der Eimer durch einen Fehltritt umfiel und die ganze Ernte im Heidekraut lag. Himbeersaft und Butterbrote haben in der kurzen Pause wohl oft wieder ein Lächeln in die Kindergesichter gezaubert? Vielleicht auch der Gedanke an den kommenden „Kram- und Viehmarkt" „Market" genannt, wofür die Kinder vom Beerengeld ein paar Pfennige zugesteckt bekamen. So hieß es zum Ansporn für die Kleinen: „Wann Dou düchtech plückest, kre`igest Dou auk fuffzech Pennige Markedesgäld!" Dann malten sich die Kinder schon die Herrlichkeiten aus, die sie sich vom „Markedesgäld" leisten wollten, eine Fahrt mit der Zirre (Karussell), etwas Süßes oder ein kleines Spielzeug? – Auch der längste Pflücktag ging mal vorüber und man trat mit der Ausbeute, natürlich zu Fuß, den Heimweg an! Bei einer guten Ernte konnte eine größere Familie durchaus einen Zentner Preiselbeeren am Tag pflücken. Die gepflückten Beeren wurden vorher auf der Heide aber noch „gewindet", das heißt von einem Eimer in den anderen geschüttet, wobei der Wind die mitgepflückten kleinen Blätter und Äste fortblies. Zuhause stand dann noch das Verlesen an, wozu sich oft die ganze Familie um den Küchentisch versammelte. Unreife und faule Beeren wurden herausgelesen, die Preiselbeeren wurden, wenn nötig, zum Nachreifen noch in den Keller gestellt. Hatte man die notwendigen Mengen für den Eigenbedarf gepflückt und verarbeitet, konnte man daran denken, Beeren zum Verkauf fertig zu machen. Meist kauften fahrende Händler, die mit einer Schelle im Dorf auf sich aufmerksam machten, die Ernte auf. Nun mußte man sehen, wo man den besten Preis dafür bekam. Um 1890 bekamen die Pflücker für ein Pfund Kroanoggen 4-5 Pfennig. Für das Spind (15 Pfund) Preiselbeeren gab es vier bis 5 Mark. Der Preis war abhängig vom Angebot; reiche Ernten bedeuteten sinkende Preise. Auch wurden in den Städten damals schon schwedische und tiroler Beeren angeboten, die, obwohl deren Qualität aufgrund eines hohen Wassergehaltes schlechter gewesen sein soll, den Absatz der Upländer Beeren schwieriger machten. Qualität, also Dicke, Reife und Frische der Beeren waren für den Verkauf sehr wichtig. So hieß es dann wohl manchmal: „Dei Hermann Strauß van E´imelroade giett twei Pennige mäh´ asse die Mann van Bre`ilen! Et mottet abber dicke Bären se`n!" Manchmal behalf man sich damit, dass man vor den Verkaufsverhandlungen die oberste Schicht im Eimer mit ausgesucht dicken Früchten anreicherte, um die Produktansicht zu verbessern. Die Händler sandten das Gros der Ernte in Spankisten zu 5 oder 10 Pfund per Express mit der Eisenbahn in die Städte, wo sie anderen Tags von den dortigen Käufern abgeholt wurden.

So kam etwas Bargeld in die Häuser und die Frauen waren froh, ein paar Pfennige für notwendige Anschaffungen oder dringend benötigte Lebensmittelkäufe in Reserve zu haben. Viele Usselner hatten Verwandte im bergischen Land und in Westfalen, wohin diese aufgrund der im Upland fehlenden Erwerbsmöglichkeiten ausgewandert waren. Auch sie wurden natürlich von den in der Heimat verbliebenen bedacht und erhielten ebenfalls über die Eisenbahn zuverlässig jährlich ihre Beerenlieferung . Bis nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Beeren in großen Mengen verkauft, mit Beginn der 50er Jahre ging der Verkauf immer mehr zurück. Hier und dort wurden in den Häusern Fremdenzimmer gebaut, viele Usselner nahmen Arbeit in den Fabriken in Brilon und Korbach an. Der Wohlstand breitete sich wohl noch nicht aus, aber Not und Armut verließen doch so langsam die Uplandberge. Gepflückt wurde meistens nur noch für den Eigenbedarf, das Beerenpflücken zum Verkauf war für die meisten Haushalte nun nicht mehr nötig, um die Haushaltskasse aufzubessern. Und heute? Auch bei den meisten Einheimischen ist das Pflücken mittlerweile in Vergessenheit geraten, nur noch wenige Familien holen sich die schmackhaften Beeren von Osterkopf, Pön oder Eideler, um sie einzukochen oder einzufrieren und im Laufe des Jahres als Beilage oder Dessert zu genießen. So ist an Sommertagen außer ein paar Spaziergängern meist niemand auf der Heide, wer pflücken will, kann sich die besten Stellen aussuchen und nur die dicksten Beeren in sein „Höüpeding" pflücken, kann aufhören, wann er will und am nächsten Tag wiederkommen – die Beeren sind immer noch da! Die Gemeinde gibt keine „Pflückscheine" mehr heraus, die Grundbesitzer wissen manchmal selbst nicht mehr so genau, wo ihre Heideflächen liegen. Geblieben ist das Flirren der Sommerhitze über der Heide, das Summen der Bienen und die blauen Münder der Kinder, wenn sie beim Spaziergang überrascht entdecken, wie köstlich die kleinen Beeren im Heidekraut schmecken.